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Dieses Thema hat 150 Antworten
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Volka Offline




Beiträge: 4.696

02.02.2025 12:50
#136 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Nun, es verblieb eine Lücke, die uns nicht gelang mit den bisher zur Verfügung stehenden Quellen zu schließen. Wollten wir die Annahme bestätigen bzw. widerlegen, mussten wir etwas anderes finden. Sucht man im Internet nach den Begriffen "historische Luftbilder" bzw. auf englisch "historic aerial images", stolpert man schnell über die Homepage der National Collection of Aerial Photography, kurz NCAP. Dort sind nur wenige Luftbilder hochauflösend als Beispiele wiedergeben. Der Rest ist kostenpflichtig, zumal viele der Luftbilder auf Wunsch erst noch in der Form digitalisiert werden müssen. Jedermann darf jedoch die dort verfügbaren Online-Hilfsmittel zum Auffinden von Luftbildern nutzen. Nur erkennen kann Jedermann dann meist noch herzlich wenig, besonders, wenn es um schmalspurige Gleise geht. Wer mehr sehen will, kann für 25 Pfund eine 12 monatige Lizenz erwerben. Damit darf man sich die verfügbaren Bildern als zoombare Kacheln mit einer Auflösung von 300 dpi ansehen. Einen solchen Scan für den privaten Gebrauch zu kaufen kostet dann extra. Alternativ kann man sich aus ca. 4 x 5 heruntergeladenen Kacheln das Bild auch selbst am Rechner zusammensetzen. Solche Zoom-Beispiele gibt es hier: https://ncap.org.uk/search?keywords=zoom%2Csample

Mit einer solchen 12-Monate-Lizenz, die nun bald abläuft, machten wir uns auf die Suche. Es gibt dort viel zu entdecken. Winfried war sogar in den Niederlanden unterwegs sich dortige schmalspurige Kleinbahnen anzusehen. Aber es ist auch ermüdend, weil man sich sehr viele Bilder ansehen kann, die es erst im Kopf passend zu drehen gilt, damit man den Bereich zuordnen kann; überhaupt nicht abbilden, was man sucht oder gesuchte Gebiete unter nicht erwarteten Namen zu finden sind (z.B. Am Darrweg). Überraschend ist es dann, dass man hochauflösende Luftbilder der Alliierten aus den Online-Portalen der Landesvermessungsämter Thüringen oder Sachsen-Anhalt kennt, die dort nicht im Angebot sind (eventuell noch nicht digitalisiert?). Letztendlich scheitert vieles an der Feinauflösung von nur 300 dpi. Das entspricht dann ungefähr einer Auflösung am Boden von 80 bis 100 cm. D.h. eine Gleisbreite von 1000 mm wird durch ca. einem Pixel dargestellt. Mit links und rechts Bahndamm und dreckverschmierten Rändern des Gleises ist es dann schon etwas mehr, solange das Bild wirklich scharf ist. Nach einer gewissen Zeit lässt man das Suchen einfach sein.

Aber natürlich gab es etwas zu unserem Gebiet finden. Dies hauptsächlich Dank der BBC, welche für ihre Dokumentation Operation Crossbow (deutsch: Armbrust) die Bilder diverse Aufklärungsflüge so digitalisieren ließ. Bei dieser Dokumentation geht es nicht, um das KZ Mittelbau-Dora, sondern wie die Briten das V1 und V2-Programm aufklärten und behinderten. Der Trick mit einer 3D-Brille oder ähnlicher Vorrichtung dabei Luftbilder auszuwerten, war meines Wissens jedoch nicht neu.

Insgesamt lassen sich bei NCAP sieben Aufklärungsflüge mit bereits verfügbaren Bildern ausmachen, während derer von Nordhausen und die uns hier interessierende Umgebung hochauflösende Luftbilder angefertigt worden sind. Die Aufklärungsflüge werden dort übrigens als "Sortie", d.h. auf deutsch Ausgang bezeichnet. Ich gebe kurz die Links zu jenen wieder. Die einzelnen Bilder selbst sind einfacher über die Bildsuche https://ncap.org.uk/search?view=map zu finden

106G/2913, 14 February 1944
US7/2249, 06 July 1944
106G/2850, 13 September 1944
106G/2891, 13 September 1944
US7/0222/A, 02 March 1945
106G/4779, 14 March 1945
106G/5105, 25 March 1945

Die vom Geoportal des Freistaates Thüringen bereits bekannten und hier verwendeten Bilder 3213 und insbesondere 3211 stammen aus dem "Ausgang" 4779. Alle dabei entstandenen Bilder können in dieser Karte lokalisiert werden, damit ihr Eindruck gewinnen könnt. Solche Aufklärungsflüge galten meist nicht nur einem Bereich und die interessierenden Gebiete wurden in der Regel zweimal überflogen. In diesem Fall, erfolgte der erste Anflug über Woffleben, die Maschine drehte dann über Krimderode und flog nördlich des Himmelsbergs wieder in Richtung Westen. Der zweite Überflug galt dann dem südlicheren Bereich des Kohnsteins. In der folgenden Abbildung habe ich die Bilder des ersten Überflugs mal schemenhaft dargestellt. Grün hervorgehoben und im Vordergrund sind die Bilder 3213 und 3211 und in gelb, das hoffentlich die Auflösung bringende Bild 3209:



Schematische Darstellung der Luftbilder 3199 bis 3218 des ersten Überflugs des "Ausgangs" 106G/4779 vom 14.03.1945 auf aktuellem DOP und Messtischblatt Nordhausen North der Alliierten

Und so sieht das Luftbild mit der Nr. 3209 in der für Jedermann verfügbaren Vorschau aus, wie ich es auch zeigen darf:


Luftbild 3209 des Aufklärungsflugs 106G/4779 vom 14.03.1945 (NCAP-000-000-042-397, Bere; Thuringia; Germany)


Der hochauflösende Scan davon hat dann nochmal richtig Geld gekostet. Aber bereits in dieser Vorschau, kann man zumindest ein Teil der Lösung erkennen. Jedoch nur wenn man sich vorher das Bild 3211 zuvor genauer und am besten in der obigen Form angeschaut hat.

Angefügte Bilder:
NCAP-000-000-042-397.jpg  

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Krimderöder Offline



Beiträge: 103

02.02.2025 13:16
#137 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Guten Tag Volker,

ich bin immer wieder überrascht, obwohl ich es ja nun kenne, wie Du das Ganze aufarbeitest und veranschaulichst!

Grüße Winfried


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Volka Offline




Beiträge: 4.696

03.02.2025 21:27
#138 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Schluss mit der Quälerei! Hier nun die Auflösung, wie sie sich aus unserer Sicht aus den Luftbildern ergibt. Für die Darstellung gilt im Folgenden wiederum, dass gelbe Linien für Feldbahn allgemein stehen (900 mm oder 600 mm), rot die bestehenden NWE-Gleise darstellt und orange die neuen symbolisiert. Dabei bedeutet eine durchgezogene Linie, dass Gleise lagen, gestrichelt stehen für offensichtlich vorgesehene und die gepunkteten für wahrscheinliche. Dabei kann man natürlich auch falsch liegen oder man hat sich nach anderer Meinung zu sehr zurückgehalten.

Zum Einstieg sehen wir wieder die Lage vom September 1944



Am 14. März 1945 hat sich das Bild deutlich verändert. Über den ehemaligen Fußballplatz ist jetzt ein Damm bis rüber zur geplanten Umschlagsstation vorhanden. Auf diesem liegt im originalen Luftbild deutlich erkennbar ein Gleis vom Anschluss Probst beginnend, über die vermutlich neue Brücke, den ehemaligen Sportplatz an der Appenröder Straße querend und noch etwas weiter darüber hinaus führend. Der erreichte Abschluss wird nicht durch eine Weiche gebildet, sondern die dort sichtbare Struktur würde auf ein halb daneben geworfenes Gleisjoch hindeuten. Direkt an der Appenröder Straße ist jedoch kein Meterspurgleis verlegt worden. Auf diesem und anderen vergrößerbaren Luftbildern bei NCAP erkennt man bereits mit 300 dpi die deutlich kürzeren Wagen einer Feldbahn. Nur deren Gleislage wurde teils angepasst.



Im Jahr 1953 ist der Sportplatz wieder hergestellt und Reste des Damms für die NWE nur noch am westlichen Rand außerhalb des eigentlichen Ortes erkennbar. Die Brücke fehlt ebenso.



Im Frühjahr 2019 ist zumindest aus der Luft in diesem Bereich so nichts mehr zu erkennen.



In der Gesamtansicht des Geländes wird wieder deutlich, dass man hier Größeres vorhatte, von dem aber wenig realisiert worden ist. Die Anlage sollte offensichtlich zu einem fingerförmig ineinander greifenden Umschlagsplatz ausgebaut werden. Am nördlichen Rand des Mühlbergs nahe des Tanzteiches war darüber hinaus noch ein zweigleisiger Stolleneingang für das Projekt Anhydrit B3b vorgesehen. Oberhalb lag ein vermutlich bereits bestehender Gipsbruch (Nachtrag des Namens: Tetzner).



Heute zeichnen sich Linien anderen Ursprungs auf der Dorfstelle Bischofsrode ab. Und ich wäre vorher nie auf die Idee gekommen, dass das Gleis der NWE so lag.


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Harzwanderer Offline



Beiträge: 1.251

04.02.2025 09:37
#139 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Hallo Volker,

sehr überzeugend, sehr genau recherchiert. Wahnsinn!
So ergibt es alles einen Sinn, und meine Fragen sind beantwortet.
Da ich in der Gegend vom Anschluss Probst nie unterwegs war, Du aber ja dort Bilder gemacht hattest: sieht man / ahnt man von dem orangenen Abzweiggleis (im Bogen vom Probstschen Anschlussgleis abzweigend) heute noch irgendwas?
Beste Grüße, Bernd


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Michael89 Offline



Beiträge: 111

09.02.2025 15:47
#140 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Hallo Volker,

Danke euch für die Recherche und die umfassende Darstellung hier. Interessant dass es ja scheinbar doch "nur" um die Errichtung dieses Umschlagplatzes ging und nicht wie u.a. auch von Bornemann et al geschrieben eine weitere Streckenführung Richtung Appenrode.

Gruß Michael


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Volka Offline




Beiträge: 4.696

10.02.2025 21:15
#141 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Hallo Bernd, hallo Michael,

ich geh mal nach und nach auf eure Fragen ein. Zuerst zu Probst und was man allgemein heute noch so erkennt.

Selber war ich vor vielen Jahren nur mal halbherzig dagewesen. Winfried war letztes Jahr im März vor Ort. Von den heutzutage noch sichtbaren Resten des Bahndamms wissen vermutlich einige. Soweit ich weiß liegt er nicht zugänglich auf Privatgrundstücken. Ich meine ihn auch mal kurz von der Appenröder Straße aus gesehen zu haben, bevor er bei mir in Vergessenheit geraten war. Es gab wohl auch niemanden, der genau wusste wie weit exakt überhaupt das Gleis lag und das Wissen über die Anbindung an Probst war ungenau: Dort ab, die Straße und dann die Behre auf einer Brücke querend. Und bei der Brücke nahmen alle - und ich auch sehr lange - die bestehende der Appenröder Straße an (K36). In den Beschreibungen wurde ja auch immer Bezug zur / an der Appenröder Straße genommen!

Ich zeige euch mal den um das doppelte vergrößrten Ausschnitt eines "zoomable" Bildes vom 06.07.1944 nach dem ich übrigens auch die Länge des Anschlussgleises Probst rekonstruiert habe. Die eingezeichneten Gleislagen entsprechen den präsentierten Stand vom 14.03.1945. Nur das noch eingezeichnete Ende des Anschlussgleises Probst dürfte es nicht mehr gegeben haben. Es gab noch keine zusätzliche Brücke, das heutige südwestliche Grundstück an der Kreuzung ging noch an die Straße und - zumindest in der Vergrößerung - ist keine Feldbahn zu erkennen.



Am 12.09.1944 war dann schon das Grundstück abgegrenzt, die neue Brücke da und auch die Feldbahn zu erkennen. Hier mit den Gleisen zu jenem Tag aus meiner Sicht nachgetragen.



Im heutigen Höhenbild zeigt sich meiner Meinung nach bis auf eine Erhöhung der abgetrennten Grundstücksecke in diesem Bereich nichts mehr, was dem Abzweig Mühlberg zugeordnet werden könnte.



Das gilt auch für das Luftbild von 2019



Fortsetzung folgt


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Harzwanderer Offline



Beiträge: 1.251

12.02.2025 12:20
#142 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Lieber Volker,

danke für die Präzisierung. D.h. es bleibt unklar, ob der orange abzweigende Bogen vom Anschlussgleis Probst überhaupt je als Gleis gelegen hat oder ob da nur das Planum und die Berebrücke hergestellt wurden, aber bis Kriegsende kein Gleis mehr verlegt wurde? Oder habt ihr einen eindeutigen Beleg gefunden, dass wirklich ein Gleis dort lag bis mindestens über die Bere hinweg?
Und, falls doch ein Gleis lag: wurde das aus dem Anschlussgleis Probst mittels Weiche ausgefädelt, oder das Anschlussgleis Probst einfach "umgebogen"?
Beste Grüße, Bernd


Volka Offline




Beiträge: 4.696

13.02.2025 21:18
#143 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Lieber Bernd,

vermutlich habe ich mich nicht ganz eindeutig ausgedrückt. Auf den originalen Luftbildern ist der Gleisverlauf deutlich erkennbar, wie ich ihn eingezeichnet habe. Soweit erkennbar wurde dieselbe Abzweigweiche von der Harzquerbahn benutzt wie für den Anschluss Probst. Die zum Mühlberg abzweigende Strecke benutzte erst die vom Anschluss Probst genutzte Gleislage und ging dann in der Kurve ab. Dahinter war das Anschlussgleis Probst nicht mehr vorhanden. Es lag dort auch keine Weiche.

Es gibt mehrere Gründe, warum dies auf den gezeigten Bilder so nicht vergleichbar gut zu erkennen ist. Beim Georeferenzieren wird das Bild nach der geografischen Lage entzerrt. Dabei werden aber auch die Pixel verzerrt und es kommt zu einem Verlust bei der Auflösung. Weiterhin habe ich die Gleislagen mit Strichen gekennzeichnet, so dass man die Gleise darunter auch nicht wirklich erkennen kann. Wie man es nun am besten macht, weiß ich nicht.

Was sieht man nun heute noch nachdem die für die Meterspur neugebaute Brücke schnell wieder verschwunden ist, der Bahndamm links der Behre wieder dem Fußballplatz weichen musste und die Feldbahn sicherlich alsbald einer neuen Verwendung zugeführt wurde (Trümmerbahn, Reparation)?

Westlich vom Fuhrbach liegt der Bahndamm noch. Er verläuft auf der Rückseite von Grundstücken - deren Besitzer vermutlich über unerwünschtes Betreten nicht begeistert sein werden -, ist teils mit kleineren Gebäuden besetzt und endet am anschließenden Ackerland, wo nur noch eine leicht Bodenwelle auf den Bau hindeuten kann. Das Gleis endete bereits schon ca. 90 m zuvor. Aufmerksam machen möchte ich auch auf eine Halde am unteren Bildrand, auf die ich später nochmal zurückkommen möchte. Dies alles dargestellt zuerst im Höhenbild und direkt darunter im DOP aus dem Jahr 2019




Auf dem Umschlagsplatz selber steht noch der Rest eines längeren Gebäudes, wo man annehmen könnte, es wäre hier ein Umschlag zwischen den Spurweiten vorgesehen gewesen (auch Privatgelände!). Wiederum am unteren Bildrand, an der Bergkante des Mühlbergs, ist ein begonner Stolleneingang erkennbar. Der fällt aber eher durch Bodenaushub, denn durch aufgehaldeten Felsausbruch auf. Weit dürfte man demzufolge hier nicht gekommen sein. Auch auf diesen Stolleneingang gehe ich später wieder ein. Links davon befindet sich der Tanzteich, den ich zuvor noch nicht kannte. Diese Gegend ist dann über Wege erreichbar.





Und zu guter Letzt zeichnet sich am westlichen Rand das vorbereitete Planum der Feldbahn stellenweise noch durch schlechteren Bewuchs im Luftbild ab.


Harzwanderer Offline



Beiträge: 1.251

17.02.2025 12:04
#144 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Lieber Volker,

wonderful! Splendid!
Darf ich Dich hiermit zum Professor für Eisenbahn-Archäologie vorschlagen?
Ich weiss nur nicht, an welcher Universität außerhalb unseres Forums dieses Fach eine Nische findet.
Aber, Du hättest den Job.

Beste Grüße, Bernd


Volka, Bergmensch und Krimderöder haben sich bedankt!
Volka Offline




Beiträge: 4.696

23.02.2025 13:26
#145 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Zitat von Michael89 im Beitrag #140
[...]Interessant dass es ja scheinbar doch "nur" um die Errichtung dieses Umschlagplatzes ging und nicht wie u.a. auch von Bornemann et al geschrieben eine weitere Streckenführung Richtung Appenrode.[...]


Hallo Michael,

man muss sich dabei immer fragen, was unter welchen Voraussetzungen geplant war, was davon begonnen und was letztendlich realisiert wurde. Wie ich eingangs schon schrieb, erscheint uns heute vieles widersprüchlich. Das liegt sicherlich daran, dass wenig überliefert ist und vielfach in einer dynamischen Entwicklung Pläne auch schnell geändert worden. Bornemann als auch Steimecke/Streckel schrieben insofern auch von dem geplanten Bau einer Zweigbahn der NWE in Richtung Appenrode, aber tatsächlich zur Untertage-Verlagerung Anhydrit West B3a, beim ehemaligen Gut Bischofferode, oberhalb von Woffleben. Bornemann schreibt dann aber weiter, dass die Bauarbeiten sich letztendlich auf das Verlegen von einigen hundert Metern Gleis mit Umschlagsplätzen zur Feldbahn beschränkten. Steimecke und Streckel griffen dass auf und schreiben, dass ein zentraler Umschlagsplatz zwischen den beteiligten Bahnen angelegt wurde. Das klingt für uns heute alles so wenig durchdacht und sinnvoll. Z.B.:

1) Warum sollte man einmal extra eine meterspurige Bahn um dieses kleine Felsmassiv bauen, wenn da doch direkt ein Anschluss zu einer zweigleisigen Hauptbahn in Normalspur bestand?
2) Welcher Vorteil ergibt sich daraus, Material und produzierte Waffen (Raketen!) ca. drei Kilometer erst mit 900 mm Feldbahn bis vor Niedersachswerfen zu transportieren und dann auf Meterspur umzuladen?

Logisch erscheint es zumindest hinsichtlich dieser Pläne, dass die NWE zu jenem Zeitpunkt die Beschaffung von Rollwagen zum Transport normalspuriger Güterwagen plante.

Auf beide Punkte möchte ich noch eingehen und beginnen werde ich dem zweiten. War das Ganze also nur ein Umschlagsplatz zur Errichtung und Versorgung der Produktionsstätten von Anhydrit B3a auf der Westseite? Mitnichten, denn es gab ja noch das nicht weitergeführte Projekt Anhydrit Ost B3b. Von diesem ist nur sehr wenig bekannt und das auch noch widersprüchlich. Ich hole ein wenig aus:

Eine Abteilung des britische Geheimdienstes (Combined Intelligence Objectives Sub-Comittee, auf Deutsch: Unterausschuss für die Ziele der kombinierten Aufklärung) hat zu jener Zeit Berichte über wichtige wissenschaftliche und technische Errungenschaften im Deutschen Reich angefertigt, die sogenannten CIOS-Reports. Besonders beliebt bei Leuten, die sich aus was für Gründen auch immer, für diese Untertageverlagerungen von Rüstungsprojekten im dritten Reich beschäftigen, ist dabei der CIOS File No. XXXII-17: "Underground Factories in Central Germany". Im Gegensatz zu anderen Berichten dieser Abteilung scheint es gerade diesen begehrten nicht online zu geben. Der ehemalige user "Arne" im Bodenfundforum (über Google gefunden) zeigt etwas Text und den Plan daraus zu B3b: http://www.bodenfundforum.com/index.php?...kuck-2-und-b3b/ Man muss jedoch Mitglied werden, um sich die Bilder anzusehen. Den dort gezeigten Plan habe ich mal um 90° gedreht hier eingefügt, damit ihr nicht unbedingt dort Mitglied werden müsst. Vom Aussehen und der Auflösung kann man annehmen, dass es sich um den schlechten Scan einer Fotokopie einer Fotokopie handelt:



Na, was erkennt ihr? Ich zeige euch in meinem nächsten Beitrag mal, was sich daraus noch lesen lässt. Das ist eine ganze Menge!

Viele Grüße

Volker


Krimderöder und Harzwanderer haben sich bedankt!
Volka Offline




Beiträge: 4.696

24.02.2025 21:59
#146 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Vorweg: Als ich mit diesem Abschnitt anfing, dachte ich, ich hätte den Film im Kasten und wäre mit fünf, sechs Beiträgen durch. Das war mal wieder ein Satz mit x. Irgendwie wird es immer mehr, weil sich noch Fragen aufwerfen, anderes zu finden ist oder nicht betrachtet wurde. So wie dieses.

Ich habe nun die schlechte Kopie genommen, auf das Vierfache vergrößert und georeferenziert. Letzteres gelang mit wenigen Klicks. Inzwischen habe ich das Gefühl jede Bodenwelle dort zu kennen. Vor ein paar Wochen noch hätte ich den Ort kaum zuordnen können. Dann noch den Hintergrund entfernt und die im Luftbild als vorhanden erkennbare Gleise hinzugefügt. so sieht es dann auf einer aktuellen Topografischen Karte im Maßstab 1:10.000 aus. Passt doch wunderbar! Selbst einzelne Häuser stehen am nahezu richtigen Ort. Nur die Schrift ist immer noch nicht zu lesen.


Vermutlicher CIOS-Plan zu B3b bei Niedersachswerfen auf aktueller TK 10

Erster Orientierungspunkt auf der Darstellung ist die Appenröder Straße. Eine der vielen Linien dort könnte zu der Feldbahn gehören. Sie ist wie auch schon immer zuvor als durchgezogenen gelbe Linie von mir dargestellt. Dann gibt es ein enges Bündel paralleler Linien die exakt auf der zuvor festgestellten Gleisachse der Meterspur (in orange) einmal geradeaus das Gelände queren. Darüber hinaus ist ein Raster auf senkrecht zueinander stehenden weiteren Linien erkennbar, wovon ich in der Zeichnung beispielhaft einen Knotenpunkt gekennzeichnet habe. Man möge meinen, dass es sich um ein Abstandsraster handelt, aber die Abstände haben nicht die gleichen Abstände. Also müssen diese Linien einen andere Bedeutung haben. Gewellte Linien gehören dagegen zu der Höhendarstellung. So finden sich eine ganze Menge dieser naheliegender Höhenlinien am Hang des Mühlberges, aber auch im größeren Abstand immer wieder weitere auch auf dem ansonsten beinahe flachen Gelände davor. Der Tanzteich ist ebenso gut erkennbar wiederzufinden. Und dann gibt es noch einen Ausschnitt des geplanten Stollensystems zu sehen.



Das ergänzte vollständige geplante Stollensystem zur Untertageverlagerung Anhydrit B 3b

Ein paar Beiträge zuvor hatte ich auf die Infos und die Darstellung von B3b auf Sachsenschiene.net verwiesen. Schnappt man sich diese Darstellung, stellt man fest, dass sich diese perfekt über diese Zeichnung aus dem CIOS-Bericht legen lässt. Kurzum: Die Darstellung in diesem Bericht ist entweder deutlich umfangreicher und besser oder es gibt noch weitere Quellen, die dieses zeigen. Aber so haben wir nun das Stollensystem in seiner gesamten vorgesehenen Ausführung im Gelände vor uns liegen. Man erkennt die geplanten vier Fahrstollen, die vermutlich von der Ostseite her aufgefahren werden sollten. Nur ist dort der Platz wegen der naheliegenden Besiedlung und des Flusses Behre sehr eng. Ein weiterer vorgesehener Stollenzugang lässt sich dann noch am westlichen Ende vom Norden her als Verlängerung eines Weges ausmachen.


Die Feldbahnen und der schlechte Scan

Im nächsten Schritt habe ich die Feldbahnen über den Plan gelegt. Und schon kommen ein paar der zuvor im Luftbild festgestellten vorbereiteten, von mir als der Feldbahn zugehörigen Gleislagen passend auf Linien des Rasters zum Liegen. Es lässt sich auch erkennen, wo der in den Luftbildern und in der heutigen Höhendarstellung erkennbare zweigleisige Stollenzugang auf die Kammern getroffen hätte. Und zumindest aus den letzten Luftbildern im Krieg lässt sich noch eine Feldbahn am nord-östlichsten Rand des Mühlbergs ausmachen, der zumindest bis zum ersten Fahrstollen reichte. Wie versprochen, komme ich irgendwann noch mal auf diesen besonderen Abschnitt zurück. Es ist schon frappierend wie gut das alles passen könnte!


Hinweise auf weitere geplante meterspurige Gleise

Wie oben schon erwähnt, liegt ein ganzes Bündel an Linien auf der im Luftbild festgestellten Gleisachse der NWE-Gleise. Zur Wiederholung: Im den Luftbildern nachweisbare Gleise sind als durchgezogene Linien dargestellt, gestrichelt sind die, deren geplantes Zustandekommen durch entsprechende Bautätigkeit erkennbar sind und gepunktet sind solche Linien, die aufgrund von Veränderungen am Boden die Planung wahrscheinlich machen (muss aber nicht so gewesen sein). Die Linien aus den Luftbildern sind jetzt in hell-orange gehalten und wo sich aus der Zeichnung Hinweise auf weitere oder andere ergeben, habe ich diese in orange als punkttiert-gestrichelte Linien im dunklerem Orange nachgezeichnet.

An dieser Stelle möchte ich nun auf zwei Punkte aufmerksam machen. Erstens handelte es sich bei der hier geplanten Anlage nicht (nur) um eine Umschlagsstation von den westlich, im Himmelberg gelegenen Projekt Anhydrit B3a, sondern einen Anschluss zu einer bauenden und zum Betrieb vorgesehenen Produktionsanlage. Und die ist vermutlich mit Absicht nahe an der NWE vorgesehen worden, damit der Weg kurz ist. Über die zu erwartenden Gütermengen kann ich nicht viel sagen. Aber auf dem normalspurigen Anschlussbahnhof von B3a in Woffleben sind auf Luftbildern mehrere Gleise vollgestellt mit normalspurigen Güterwagen zu erkennen. B3a war aber auch etwas größer geplant als B3b. Das zeige ich auch noch.

Zweitens ist die Ausdehnung dieses Bahnhofsgeländes vom Ende des Propstschen Gipswerks ganz links im Bild über diesen Text bis zum Fuhrbach ganz rechts ca. 1.100 Meter lang. Zum Vergleich: Nordhausen-Nord vom Prellbock am Empfangsgebäude bis zur Freiherr-von-Stein-Straße ca. 700 m. Hauptbahnhof Wernigerode bis zum Kreisel ca. 400 m. Alte Umladung in Wernigerode ab Veckenstedter Weg bis zum letzten Stück Schmalspur ca. 500 m und bis ganz ans normalspurige Ende insgesamt ca. 750 m. Gernrode nur Schmalspur ebenso. Das hier ist von der Dimension also schon etwas anderes.

Zum Schluss dieses Beitrags noch zwei weitere Bilder: Eines als Zusammenfassung im Luftbild von 2019 und das zweite zum Stöbern ohne meine Striche als Überlagerung des Plans mit dem Luftbild von 1945. Die Bilder sind wiederum etwas größer als dargestellt hinterlegt. Ihr müsst zur großen Ansicht draufklicken.


Erkenntnisse und Vermutungen aus Luftbildern sowie Plan zu B3b im Luftbild von 2019 als Überblick


Schlechte Kopie des CIOS-Plans im Luftbild von 1945

Mache ich mich jetzt auf die Suche nach einer guten Kopie aus dem CIOS-Bericht oder einer anderen Quelle? Vermutlich erstmal nicht. Vielleicht hat ja jemand für mich eine zur Hand?


Krimderöder Offline



Beiträge: 103

25.02.2025 08:25
#147 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Guten Morgen,

es ist ja eigentlich Wahnsinn, was sich aus dem Anfang dieses Posts entwickelt hat, vielen Dank Volker für die akribische und logische Arbeit. Da erschließen sich ganz andere "Welten" als von früher her oberflächlich erkannt und vorallem bekannt.
Nachdem man sich aber nun, zumindest ich, erstmal nur oberflächlich mit den Bildern vertraut gemacht hat, stellen sich ab er wiederum andere Fragen, aber da muss ich erstmal drüber nachdenken. Alles zusammen ist das mehr als ein Mosaikstein in einem Stück mindestens lokaler jüngerer Vergangenheit!

Grüße Winfried


Volka und Harzwanderer haben sich bedankt!
Volka Offline




Beiträge: 4.696

02.03.2025 13:57
#148 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Zuletzt haben wir gesehen, dass die geplanten Anlagen am Abzweig Mühlberg nicht nur als ein Umschlagsplatz für Güter zum und von den untertägigen Rüstungsbetrieben am Himmelberg - der Untertageverlagerung Anhydrit B3a waren -, sondern auch direkt das weitere Projekt B3b versorgen sollten. Und nun kommt das Widersprüchliche: Es gibt zwei unterschiedliche Dokumentationen zu dem Projekt Anhydrit B3b. Einerseits das bisher vorgestellte bei Niedersachswerfen, am nordöstlichen Rand des Himmelbergs mit begonnener großer Baustellenvorbereitung, aber mit so gut wie keinem Stollenausbruch und andererseits eine am nordwestlichen Rand des Himmelbergs. Bornemann beschreibt diese in seinem Buch "Geheimprojekt Mittelbau" so: "Anlage B3b. Sie sollte östlich der Anlage B3a im Himmelberg entstehen und mit dieser über zwei Fahrstollen verbunden werden. In der Nähe von Appenrode, auf der Nordseite des Berges, hatte man bereits im Herbst 1944 mit den Arbeiten an etwa zehn Stolleneingängen begonnen. Es bestand zunächst eine Feldbahnverbindung nach Niedersachswerfen (900 mm Spurweite), wo Anschluß an die Harzquerbahn bestand (1000 mm Spurweite), sowie nach Bischofferode. Die Arbeiten wurden Anfang 1945 zugunsten der Anlage S III bei Ohrdruf im Thüringer Wald eingestellt." Exakt so beschreiben es auch Fred Dittmann und Jürgen Michels in ihrem Buch "Größter Geheimwaffenproduzent des Dritten Reiches. Tatsachen über die Mittelwerk GmbH im Kohnstein bei Nordhausen." Im Gegensatz zu Bornemann gibt es darin auch eine Karte von B3a und B3b in diesem Zustand aus der Hand von Herrn Dittmann, die sich bis auf den oberen Rand von B3b ziemlich gut georerefenzieren lässt. So lassen sich die beiden B3b nebeneinander darstellen:


Anhydrit B3a und B3b nach Bornemann, Dittmann und Michels sowie B3b nach schlechter Kopie CIOS-Bericht mit Stollensystem nach Herbach @ sachsenschiene.net

Bevor ich auf die zwei verschiedenen B3b wieder eingehe, möchte ich auf andere Punkte aufmerksam machen. In der Abbildung habe ich verschiedene Gipsbrüche eingetragen und andererseits die Eisenbahnen unterschiedlicher Spurweite nach der alliierten Ausgabe des Messtischblattes 4430 Nordhausen-Nord. Man erkennt in gelb die Feldbahnen. Und nun führt eine Strecke am nördlichen Rand des Himmelbergs genau auf die zweite B3b-Anlage zu. Dank Winfrieds riesigen Literaturfundus wissen wir, dass dort die Firma Kaselitz einen Stollen betrieb, der nach der Beschlagnahmung 1944 als Sprengstofflager genutzt wurde und in dem es bei Kriegsende zu einer großen Explosion kam (Bornemann im Jahrbuch des Landkreises Nordhausen 2000, S. 32. "Industriestandort Niedersachswerfen - Geschichte eines Familienbetriebes). Dieser Streckenabzweig stand also in erster Linie nicht mit B3b in Verbindung. Die Firma Kaselitz hatte aber noch einen zweiten Stollen in Betrieb und zwar an der Obermühle am östlichen Rand es Mühlbergs. Der wurde von der Bevölkerung als Luftschutzstollen genutzt. Auf den komme ich später auch noch zurück.

Okay. Es gibt Beschreibungen zu zwei verschiedene B3b-Anlagen. Die westliche Geschichte beginnt im Oktober 1944. Aber welchen Stand gibt die alliierte Karte wieder, auf der die beginnenden Bauarbeiten vom östlichen B3b zu sehen sind. Da hilft ein Blick auf eines der Luftbilder bei NCAP. Auf dem Bild 4021 des (Aus-)Fluges 106G/2913 vom bereits 14.02.1944 ist die Gleisharfe genau so zu sehen (bei ca. 5 Uhr), wie sie auch auf der alliierten Karte wiederfindet. Ebenso erkennt man dort ebenso die Strecke zum Sprengstofflager / ehemaligen Stollen der Firma Kaselitz (ca. 12 Uhr):


Luftbild 4021 des Aufklärungsflugs 106G/2913 vom 14.02.1944 (NCAP-000-000-038-868">Vorwerk Königerode; Thuringia; Germany)


Wenn das westliche B3b-Projekt nach Dittmann/Michels im Oktober 1944 begonnen wurde, aber am östlichen bereits im Februar 1944 gebaut wurde, hat man wohl im Herbst 1944 das Projekt B3b am Abzweig Mühlberg der NWE aufgegeben gehabt. Zur Erinnerung: Die Strecke von Niedersachswerfen nach Harzungen wurde im September 1944 eröffnet. Das Ganze war also ziemlich kurzlebig verfolgt worden. Vielleicht ein Jahr? Aber warum wurde es getsoppt bzw. neu geplant? Dittmann/Michaels als auch Bornemann führen indirekt Gründe dazu an:

Dittmann/Michels, S. 133: "Von dort sollte ein Fahrstollen die Verbindung zu B3a herstellen, denn man hatte an eine gemeinsame Nutzung der Sozialeinrichtungen gedacht. So wollte man Geldmittel und auch Zeit einsparen."
Bornemann, S. 92f: "Es waren bis Kriegsende verlegt: 28 km Gleise der Spurweite 900 mm und 14 km Gleise der Spurweite 600 mm. Projektiert waren, ausgehend vom Verschiebebahnhof, fünf Gleiseinführungen in den Himmelberg in Normalspur: zwei von der Nordseite, zwei von der Westseite und einer von der Südseite [69]."

Die zwei normalspurigen Gleiseinführungen vom Westen und der eine vom Süden sind ganz offensichtlich als Anschlüsse zum Projekt Anhydrit B3a vorgesehen gewesen. Und da das neue B3b im Norden geplant war, galten die zwei nördlichen Gleiseinführungen wohl dem neuen B3b. Aus dieser Aufstellung wird deutlich, dass man zumindest planerisch die Probleme mit dem Anschluss der Normalspur in Woffleben in den Griff gemeint hat zu bekommen und alles mit geringerem Aufwand realisieren konnte. Damit hätte man bis auf den Häftlingstransport auf die NWE verzichten können.

Aber was war denn mit der benachbarten Normalspur in Woffleben so schwierig? Dazu dann nächstes mal was.

Angefügte Bilder:
NCAP-000-000-038-868.jpg  

kuno, Tomek, Harzwanderer, Michael89 und Krimderöder haben sich bedankt!
Volka Offline




Beiträge: 4.696

23.03.2025 20:39
#149 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

N'Abend!

Zitat von Volka im Beitrag #148
Aber was war denn mit der benachbarten Normalspur in Woffleben so schwierig? Dazu dann nächstes mal was.


Die Ankündigung ist bereits drei Wochen alt und das Ganze artet gerade so im Umfang aus, dass ich mich entschloss den von mir geplanten nachfolgenden Punkt vorzuziehen.

Steimecke und Endisch beschreiben in ihren Büchern einen Haltepunkt Mühlberg am Streckenkilometer 8,48 der Harzquerbahn am Ortsausgang von Niedersachswerfen. Es soll sich um einen Behelfsbahnsteig für die Beschäftigten der Rüstungsindustrie handeln, der nach dem Kriegsende bald wieder entfernt wurde. Schauen wir uns doch mal die Örtlichkeit dort am km 8,48 zu jener Zeit an:


Streckenkilometer 8,48 der Harzquerbahn mit angeblichen Behelfsbahnsteig in den Jahren 1944 und 1945

Aus den Luftbildern ergibt sich kein Hinweis auf das Vorhandensein eines solchen Bahnsteigs an jenem Punkt. Noch ist dort in der näheren Umgebung irgendwelche Rüstungsindustrie zu sehen oder anderswo beschrieben. Auch lässt sich an der nahen Straße kein Platz erkennen, der darauf schließen lässt, es hätten Busse oder ähnliches zum Umsteigen gehalten. Nur ein Feldweg führt am km 8,5 von der Bahn zur Reichsstraße 4, aber von dererlei Feldwege querten viele die Querbahn. Außerdem liegt der km 8,48 außerhalb des Ortes. Ein Haltepunkt in der Lage des heutigen exisitierenden Haltepunkts Ilfelder Straße am km 8,2 wäre auch deutlich günstiger gelegen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass sich dort am km 8,48 ein provisorischer Haltepunkt befunden hat.

Es gibt übrigens auch im Bildfahrplan der NWE im Steimecke-Buch auf den Seiten 464 und 465 keinen Haltepunkt mit einem solchen Namen (siehe folgende Abbildung). Aber es lohnt sich einen genaueren Blick auf diesen zu werfen, denn es dort ist zweimal den Abzweig Mühlberg aufgeführt: Einmal an der Strecke nach Appenrode nach 1,50 Kilometer vom Bahnhof Niedersachswerfen aus (Bahnhofsstandort liegt im Kilometer 6,98) und einmal an der Harzquerbahn gelegen. Die im oberen Band des Ausschnitts nur schwer leslichen Distanzen zwischen den Bahnhöfen und die Lage dieser Stellen habe zusätzlich in der Abbildung vermerkt. Und jetzt eine einfache Rechenaufgabe 6,98 km + 1,50 km = 8,48 km. Man kommt also durch Addition von 1,50 km zur Lage des Bahnhofs Niedersachswerfen der NWE von 6,98 km auf die angeblichen Lage des Haltepunkts Mühlberg. Aus dieser Rechnung kann man sehen, dass nicht irgendein Haltepunkt an der Harzquerbahn außerhalb Niedersachswerfens auf der Wiese gemeint sein kann, sondern die Lage der Betriebsstelle Abzweig Mühlberg selber.


Ausschnitt Fahrplanblatt der NWE vom 5.12.1944 aus Steimeckes Buch S. 465 mit der zweifachen Aufführung des Abzweigs Mühlberg (6,98+1,50=8,48)

Im Bildfahrplan sind alle Züge zwischen Harzungen und Niedersachswerfen auf dieser Strecke von Harzungen nach Appenrode eingezeichnet. Ihre Weiterfahrt in Richtung Mühlberg erfolgt dann im Bildfahrplan als Sperrfahrt auf der Harzquerbahn. In gelb habe ich ein solches Beispiel mal markiert; Es kommt der werktägliche K511 aus Harzungen, der als Sperrfahrt 52 zum Abzweig Mühlberg verkehrt und von dort nach Niedersachsen zurückkehrt, bevor er als Lp K512 nach Harzungen weiterfährt. Vielleicht erklärt auch dieser Punkt die offensichtliche Fehlinterpretation?

Aber werfen wir doch mal einen Blick auf die Stelle beim Kilometer 1,50 auf der Strecke von dem nie erreichten Appenrode von Niedersachswerfen aus. Zu Beginn die Frage, von wo aus die Hektometer ermittelt werden. Ich habe mir übrigens ziemlich viel Mühe damit gegeben, bzw. es hat lange gedauert bis ich es einigermaßen hinbekommen hatte. Startpunkt ist der im Steimeckes Buch wiedergegebene Plan zum Umbau des Bahnhofs Niedersachswerfen vom 3.8.1944 in der von mir georeferenzierten Version. Auf diesem Plan ist der km 7,0 der Harzquerbahn genau eingezeichnet. Ich habe an diesem Punkt eine Abweichung von ca. 1,3 m zu meinen Angaben.


km 7,0 der Harzquerbahn im Ausschnitt des Plans zum Umbau des Bf. Niedersachswerfen vom 3.8.1944 aus Steimeckes Buch S. 59

Mit dieser Hilfe lässt sich dann auch der Kilometer 1,5 ab Bahnhof Niedersachswerfen auf der neugebauten Strecke finden, der im September 1944 noch nicht existierte. Inklusive des umgebauten Anschlusses Probst wurden ab der von der Harzquerbahn abzweigenden Weiche knapp 550 Meter Gleis auf diesem Abschnitt erbaut.


Abstände ab Bahnhof Niedersachswerfen NWE auf der Stecke um den Mühlberg

In der Vergrößerung lässt sich erkennen, dass nach der Überbrückung des Flusses Behre ab km 1,3 die Strecke erst parallel zur Feldbahn und bis ca. km 1,4 in deren Nähe verläuft. Dann folgt eine kurze Kurve und bis kurz vor 1,5 km ist der Bahndamm deutlich verbreitert, so dass dort eventuell wirklich ein Notbahnsteig für das Umsteigen der Häftlinge in die Feldbahn vorhanden gewesen sein konnte. Im Luftbild lässt sich jedoch kann Umsetzgleis erkennen und da nach Bornemann mussten wegen fehlender Umsetzmöglichkeit die Züge geschoben werden. Da es in Harzungen jedoch ein zweites Gleis zum Umfahren gab, dürfte dort am Abzweig Mühlberg wirklich kein Umsetzgleis vorhanden gewesen sein. D.h. die Betreibsstelle ist zurecht als Haltepunkt bezeichnet. Und hier stiegen die KZ-Häftlinge vom Außenlager Hans in Harzungen in die Feldbahn um, um nach Bischofferode zum Projekt Untertageverlagerung B3a zu kommen. Fazit: Der Haltepunkt Mühlberg lag definitiv nicht an der Harzquerbahn!


Detaillierter Blick auf den Bereich zwischen Kilometer 1,3 und 1,5 im 1945er Luftbild, dem DOP von 2019 und dem Geländemodell

Im vergrößerten Luftbild oben erkennt man zusätzlich, dass nicht nur das NWE-Gleis erhöht auf einem Damm ausgeführt wurde, sondern auch die Feldbahn von der Appenröder Straße aus dorthin ansteigt. Diese Aufschüttung ist heute teils noch vorhanden, wie man im digitalen Geländemodell erkennen kann. Die südliche Flanke auf der das NWE-Gleis lag wurde zu Gunsten des heute auch nicht mehr exisitierenden Sportplatzes wieder abgetragen. Eventuell ist die im Krieg ausgeschüttete und verbliebene Fläche dadurch heute zusätzlich erhöht.


Alte (rot) und aktuelle (grün) Kilometrierung am Beispiel des Bf. Niedersachswerfen-Ost

Es hat übrigens etwas gedauert, bis ich verstanden habe, dass die heutige Kilometrierung der Harzquerbahn nicht der früheren in den vierziger Jahren entspricht. Wenn man Aussagen zu den alten Örtlichkeiten treffen will, darf man sich insofern nicht an den aktuellen Kilometersteinen (Schienenstücken) orientieren - jedenfalls nicht in diesem Bereich. Der Abstand zwischen der alten und der aktuellen Kilometrierung beträgt nach meinen zeichnerischen Ermittlungen ca. 30 - 32 Meter und liegt heute hinter der alten (d.h. die neue ist kürzer). Wie es kommt, kann ich nicht ganz erklären, aber ich versuche es mal: Die neue Streckenführung bei Altentor ist ca. 22 Meter länger als die alte und durch den Bahnhofsumbau in Nordhausen wurde die Strecke ca. 62 Meter kürzer. In der Summe sind dies 40 Meter, die verlorenen gegangen sind. Die restlichen 10 Meter zu den 30-32 liegen vermutlich an meiner Ungenauigkeit beim Zeichnen und eventuell von mir noch nicht erfasster Verschiebung der Gleislage im Güterbahnhof Nordhausen.

Eins habe ich noch zum Schluss: Für die Strecke von Harzungen bis vor das Bahnhofsgebäude in Niedersachswerfen komme ich nach meiner Messung auf 2,89 gegenüber der Angabe von 2,85 Kilometer im abgebildeten Bildfahrplan oben - also 40 Meter zu viel. Oder hat man sich dort verschrieben bzw. ich es falsch abgelesen (siehe dort)? Sind jetzt meine Kilometerangaben für Mühlberg um 40 Meter zu weit? Wer will, darf es gerne aufklären! Ich habe genug Kilometer gezählt!

Und noch etwas: Die Abzweigweiche des Anschluss Probst lag vor dem Umbau zum Abzweig Mühlberg ca. 20 Meter weiter nördlich, direkt hinter dem Graben ca. am damaligen Kilometer 8,1. Hätte man das nach dem Krieg wieder korrigiert, hätte man das dort später erbaute, schräg stehende Haus nicht so bauen müssen :-)

Viele Grüße

Volker


Krimderöder, Tomek und Harzwanderer haben sich bedankt!
Harzwanderer Offline



Beiträge: 1.251

24.03.2025 15:33
#150 RE: Abzweig Mühlberg Antworten

Hallo Volker,

vielen Dank wieder mal für Recherche und Aufbereitung!
Deine These, dass ein Hp. Mühlberg bei km 8,48 an der Harzquerbahnstrecke wenig Sinn ergibt, aber am Abzweig nach Appenrode durchaus vorstellbar ist, erscheint mir nachvollziehbar und plausibel.

Ich habe jedoch ein anderes (kleines) Problem, auf das Du noch nicht eingegangen bist:
im Bildfahrplan, den Du aus Jürgens Buch hast, gibt es einen Widerspruch! Die Betriebsstelle "Abzweig Mühlberg" ist verzeichnet sowohl für die Strecke nach Appenrode als auch für die Strecke nach Ilfeld. Es muss sich also tatsächlich um die Stelle handeln, wo das Appenröder Gleis nach links von der "Stammstrecke" abgezweigt ist (wie ja auch schon der Name "Abzweig" suggeriert).
Aber: gleichzeitig wird in diesem Bildfahrplan die Entfernung zwischen Niedersachswerfen und diesem Abzweig mit 1,5km angegeben. Und das passt nicht, denn Deine Bilder mit der angegebenen Kilometrierung zeigen ja, dass der Abzweigpunkt nur ca. 1,1km vom Bahnhof Niedersachswerfen entfernt ist und nicht 1,5km.

Hier ist also der gezeigte Bildfahrplan in sich widersprüchlich, die 1,5km Entfernung passt NICHT zum "Abzweig". Eins von beiden muss falsch sein.
Aber was?
Ich sehe zwei mögliche Hypothesen:

Hypothese 1: die Entfernungsangabe "1,5km" ist falsch.
Es könnte sich schlichtweg um eine Verwechslung handeln, z.B. dass die wirkliche Entfernung nur 1,05km betrug, aber bei der Bearbeitung des Bildfahrplanes durch einen Irrtum des Bearbeiters die Angabe von 1,05km in 1,5km verfälscht wurde, und keiner hat es gemerkt...
Der Abstand von 1,05km könnte vielleicht nicht ganz schlecht zum Standort der Abzweigweiche passen? Laut einem Deiner Bilder läge die eher bei km1,1 von Niedersachswerfen aus ... aber ich weiß nicht, ob die 50m eine erklärbare Toleranz sind, oder nicht...
Wenn man diesen Irrtum mal hypothetisch annimmt, ist dann die Frage, ob der sich NUR auf die Lage des Abzweigpunktes bezog, oder AUCH auf den erwähnten provisorischen Hp. Mühlberg. Denn für mich ist unklar, ob es für den Hp. noch eine andere Quelle gibt als den von Dir gezeigten Bildfahrplan. Wenn sich Steimecke und Endisch nur auf den Bildfahrplan stützen und die Züge Harzungen-Niedersachswerfen-Mühlberg tatsächlich nur genau bis zum Abzweig Mühlberg verkehrten, dann wäre die Lage eines provisorischen Bahnsteiges also tatsächlich im sehr nahen Umfeld der Abzweigweiche zu vermuten - ob am Streckengleis nach Ilfeld oder nach Appenrode oder gar am gemeinsamen Streckengleis unmittelbar VOR der Abzweigweiche, sei dahingestellt.
Fazit: im Fall dieser Hypothese wären die Betriebsstellen "Abzweig Mühlberg" und "provisorischer Hp. Mühlberg" mehr oder weniger identisch, hätten aber zum Bahnhof Niedersachswerfen nur eine Entfernung von ca. 1,05km bis 1,1km.

Hypothese 2: die Entfernungsangabe "1,5km" von Niedersachswerfen stimmt, aber damit ist dann nicht die "Abzweigstelle" gemeint.
Denn die Abzweigstelle liegt ja nunmal nur in 1,05...1,1km Entfernung vom Bhf. Niedersachswerfen. Es muss also in 1,5km Entfernung (also 400m weiter vom Abnzweig) eine zweite Betriebsstelle gegeben haben, bis zu der die geschobenen Sperrfahrten verkehrt sind. Das wäre dann der "provisorische Hp. Mühlberg".
Wie Du, volker, in deinem Beitrag überzeugend erklärt hast, wäre dieser Hp. dann sehr wahrscheinlich an der Appenröder Strecke zu verorten, in dem von Dir gezeigten Bereich.
Vermutung/Hypothese: dem Bearbeiter des Bildfahrplanes war vielleicht auch nicht ganz klar, welche Betriebsstellen sich hinter "Mühlberg" alles verbargen? Es gab eine Hp, es gab den Abzweig, beides nannte man so - er wusste aber vielleicht nicht aus eigener Anschauung, dass Abzweig und Hp. zwei verschiedene Dinge waren? Zumal das ganze ja 1944/45 in sehr bewegten Zeiten und sehr "dynamisch" errichtet wurde. Daher hat er's als eine Betriebsstelle "Abzweig" in den Bildfahrplan eingetragen. In Wirklichkeit hätten es zwei verschiedene Betriebsstellen sein müssen: "Abzweig Mühlberg" an den Strecken nach Ilfeld UND nach Appenrode, und an der Appenröder Strecke (und NUR an dieser) dann 400m weiter die zweite neue Betriebsstelle "Hp. Mühlberg". Und die geschobenen Sperrfahrten fuhren bis zu diesem "Hp. Mühlberg".
Fazit: im Fall dieser Hypothese wären die Betriebsstellen "Abzweig Mühlberg" und "provisorischer Hp. Mühlberg" zwei verschiedene Betriebsstellen, die eine (Abzweig) in einer Entfernung von 1,05...1,1km von Niedersachswerfen, die andere noch 400...450m weiter am Appenröder Streckengleis. Und der Bearbeiter des Bildfahrplanes hat es nicht durchschaut, "verwechselt", beides miteinander vermengt, oder ähnlich.

Das sind die zwei Vermutungen, die mir einfallen.
Aber ob eine davon stimmt oder es in Wirklichkeit noch ganz anders war ... tja.

Beste Grüße, Bernd


Volka hat sich bedankt!
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